Bildungsforschung, – Klassismus, Diskriminierung und Migration

In einem Interview des YouTube Kanals „Jung und Naiv“ wird der renommierte Wissenschaftler Aladin El-Mafaalani interviewt. In dem Gespräch wurden die folgenden Themen angesprochen:
… Es ist nicht nur die Migration, die Ursache für bestimmte Problemlagen ist, sondern auch Klassismus.
… Das Gymnasium in Deutschland war lange Zeit nicht die Schule der Talentiertesten, sondern eine Schule von Kindern elitärer Familien. Talentierte Arbeiterkinder gingen auf die Realschule und später auf die Fachschule.
… Arme Eltern neigen dazu, für ihre Kinder ungünstige Entscheidungen zu treffen
… Kinder ärmerer Familien lernen weniger, sich zu disziplinieren, weil es ihnen an Wahlmöglichkeiten fehlt.
… Mädchen sind in der Schule besser als Jungen.
… Unser Schulsystem stellt zwar gleiche Regeln für alle auf, beseitigt jedoch nicht die Chancenungleichheit.
… Kinder ärmerer Familien sind benachteiligt, weil Ihnen andere Schulformen oft nicht offenstehen (Internate, Privatschulen, Reformpädagogische Schulen).
… Deutschland war in den 80 ger und 90 ger Jahren rassistischer als heute. Das änderte sich erst, als Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund höhere Abschlüsse erreichten und sich einmischten.
… Es macht einen Unterschied, ob Wissenschaftler einen Migrationshintergrund haben oder nicht.

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Oberflächlich gesehen ist der soziale Aufstieg etwas, was Migranten häufiger trifft. Es ist nicht nur die Migration, die Ursache für bestimmte Problemlagen ist, sondern auch Klassismus. Das Gymnasium in Deutschland war lange Zeit nicht die Schule der Talentiertesten, sondern eine Schule von Kindern elitärer Familien. Talentierte Arbeiterkinder gingen auf die Realschule und später auf die Fachschule. Häufig sind es die Eltern aus armen Familien, die ihren Kindern nicht zutrauen, dass sie das Gymnasium schaffen. Deshalb gibt es in vielen Bundesländern neben dem Gymnasium weitere Schulsysteme, in denen es möglich ist, ein Abitur zu machen, wie beispielsweise die Gesamtschule. Wichtig ist, dass die Förderung im Kindergarten und Grundschulalter beginnt. Das, was im Kindergarten und in der Grundschule passiert, trägt zur Entwicklung des Kindes stärker bei als später in der weiterführenden Schule. Ungleichheit kann man durch Engagement über den klassischen Unterricht hinaus verringern. Das Zusammenbringen von ungleichen Chancen findet nicht nur an der Tafel statt. Eltern neigen dazu, für ihre Kinder ungünstige Entscheidungen zu treffen, das beginnt bei der Wahl der weiterführenden Schule, der Freizeitgestaltung oder in der Gesundheitsvorsorge. Schon das Erlernen eines Musikinstrumentes, aber auch sportliche Aktivität oder andere Freizeitaktivitäten können Ungleichheit verringern. Wenn Eltern darüber entscheiden müssen, welches Instrument das Kind lernt, welchen Sport es macht oder zu welcher Vorsorgeuntersuchung es geht, wird Ungleichheit verstärkt. Wenn diese Entscheidung in er Schule getroffen wird, verringert sich die Ungleichheit. Dazu bedarf es Ganztagsschulen. Vieles, was außerhalb des Unterrichts geschieht, trägt zur kindlichen Förderung bei.

Armut diszipliniert, weil Armut Kindern vieles nicht erlaubt, etwas zu tun. Wer nicht arm ist, hat die Freiheit auf etwas zu verzichten, tut es oft nicht. Armut versagt die Freiheit, sich zu entscheiden. Die Armut entscheidet über den Verzicht. Mädchen sind in der Schule in der Regel besser als Jungen. Eine plausible Erklärung ist, dass sie außerhalb der Schule größeren Zwängen unterliegen, sich zu beweisen insbesondere in streng konservativen Familien. Schule ist für sie dann ein Ort der Befreiung. Alleinerziehend zu sein hat kaum einen Makel und einen Einfluss auf die Bildung der Kinder. Entscheidend für die Benachteiligung ist es, arm und alleinerziehend zu sein. Armut ist ein Verstärker. Kinder in einer akademischen migrantischen Familie haben heute kaum Nachteile. Armut ist ein Verstärker für Benachteiligung.

Unser Schulsystem tut so, als gäbe es Chancengleichheit, es berücksichtigt jedoch nicht, dass gerade das Schulsystem die Aufgabe hat Chancengleichheit herzustellen. Das grundlegende Bildungssystem in Deutschland ist nicht dazu ausgelegt Chancengleichheit herzustellen. Das Bildungssystem stellt lediglich die gleichen Regeln für jeden her, aber berücksichtigt nicht die Geschichte des Einzelnen. Das Schulsystem könnte dadurch verbessert werden, indem die Grundschule bis zur 6. Klasse fortgeführt wird und die Situation der Grundschule deutlich verbessert wird. Deutsche Schulen brauchen andere Professionen an der Schule, die die Lehrer unterstützen. Auch die Digitalisierung können Lehrkräfte bei der individuellen Förderung unterstützten. Häufig finden Algorithmen besser heraus wo die Schwächen der Kinder sind. Die Förderung der Kinder muss in den ersten 10 Jahre der Schule stattfinden. In der Oberstufe sollten die Jugendlichen befähigt sein selbständig zu arbeiten.

Pädagogisch gesehen ist die alleinige Vergabe von Noten nicht unbedingt sinnvoll, gesellschaftlich gesehen jedoch begrenzten Noten die Privilegien der elitären Familien. In der Pandemie machte man sich mehr Gedanken über Prüfungsnoten als über Kinder, die in Familien mit einem Drogenproblemen oder Gewaltproblem lernen mussten. Privatschulen werden vom Staat subventioniert, jedoch bilden diese vorwiegend Eliten aus. Sie bringen den Staat jedoch dazu, sich anderen Möglichkeiten und neuen Ideen anpassen zu müssen. Reformpädagogische Privatschulen wie die Waldorfschule bevorzugen in ihrem System Kinder von privilegierten Familien, weil diese bereits zu Hause Dinge gelernt haben, die für die Schulform wichtig sind. Arme Kinder sind benachteiligt, weil sie einige Voraussetzungen wie beispielsweise Selbstdisziplin nicht mitbringen. Schulsysteme, die von Kindern den Umgang mit Freiheit abverlangen, werden in skandinavischen Ländern bevorzugt. In China jedoch gibt es in den Schulen kaum Freiheiten, dort funktionieren sogar Klassen mit 40 Kindern, die hier undenkbar sind. Das liegt daran, dass die chinesischen Kinder von außen disziplinierbar sind. Das jedoch machen Kinder aus privilegierten Familien kaum mit. Kinder aus unterprivilegierten Familien brauchen jedoch diese Disziplinierung von außen, weil sie es zu Hause nicht gelernt und erfahren haben. Deutschland ist so divers, dass eine Lernform alleine nicht ausreicht. Deshalb müssen die Schulen alle Optionen anbieten können, auch Optionen außerhalb des Klassenraums. An der Schule muss alles passieren, was die Gesellschaft zu bieten hat und was den Menschen ausmacht. In der Schule muss es möglich sein, über Problem in der Gesellschaft auch im Zusammenhang mit Migration zu reden, aber ohne dass es dafür eine Note gibt. Der offene Ganztag sollte auch hierfür Räume bieten. Beispielsweise haben arme Kinder nur deshalb einen Nachteil, weil sie sprachlich sich nicht so gut ausdrücken können. Angebote wie Rhetorik oder Debatte helfen, diese Nachteile zu verringern.

In Internaten werden Kinder systematisch gefördert, weil der Lehrer, der vormittags unterrichtet, die Kinder auch nachmittags betreut. Kinder erhalten eine Betreuung rund um die Uhr. Das können sich allerdings Eltern armer Kinder nicht leisten. 

Frontalunterricht sollte nicht der alleinige Unterricht sein, ist jedoch nicht zu beanstanden. In einem interessanten Frontalunterricht passiert nichts anderes als in einem interessanten YouTube-Video. Nicht selten sind Gruppenarbeiten völlig daneben und reine Beschäftigungstherapie. Gruppenarbeit macht nur dort Sinn, wenn es Dinge gibt, die alleine nicht möglich sind zu tun.

Deutschland war in den 80 ger und 90 ger Jahren ein rassistisches Land. Was zu der Zeit als Mainstream galt, wird heute nur noch in der AfD gepflegt. Deutschland wurde erst in den letzten 20 Jahren zu einem weltoffenen Land. Es gibt im migrantischen Milieus organisierte Kriminalität, die aus den Fehlern der 80 ger Jahre resultieren. Es gab für Teile der geduldeten Migranten keine Schulpflicht, Migranten, die ein Abitur hatten, konnten nicht studieren, weil der Aufenthaltsstatus nur für 6 Monate galt. Ausbildungen konnten nicht gemacht werden, weil die Ausländerbehörde es nicht erlaubte. Migranten, die es geschafft hatten, einen guten Schulabschluss zu machen, sind ins benachbarte Ausland gegangen und alle, die es nicht geschafft haben, sind geblieben. Die Besten sind gegangen. Aus solchen unklaren jahrzehntelangen Aufenthalten entstehen Clans (mafiöse Strukturen). Was Jahrzehnte in die falsche Richtung läuft, kann man nicht in wenigen Jahren lösen. Es gab Klassen mit türkischen Kindern, die Unterricht in türkischer Sprache hatten, mit dem Ziel, dass diese wieder zurückgehen. In Deutschland wurden diesen Kindern lieber ein türkisches Nationalbewusstsein beigebracht, als sie zu integrieren, weil sie zurückgeführt werden sollten.
Die ersten Migranten waren Arbeitsmigranten. Man wollte keine intellektuellen und gebildeten Menschen. Es gab unwürdige Umstände bei der ärztlichen Untersuchung. Die Situation der ersten Migranten war schlimm. Dazu hat sich die Situation heute deutlich verbessert, allerdings ist sie noch nicht zufriedenstellen.

Verbesserungen erfolgten aus Einsicht, aus Arbeitsmarktpolitik und durch die Migranten selbst. Veränderungen entstanden auch dadurch, dass die ersten Gastarbeiterkinder Rechtsanwälte wurden und geklagt haben. Wissenschaftler mit Diskriminierungserfahrungen können andere Fragen stellen als diejenigen ohne. Wissenschaftler ohne Migrationshintergrund fehlt die Erfahrung. Wissenschaft ist nicht erfahrungsfrei. Sie ist bis zum Zeitpunkt, bis zu dem die Frage gestellt wird, nicht losgelöst von Erfahrungen. Die Methodik nach der Fragestellung löst sich von den Erfahrungen, aber bis zur Fragestellung spielt die eigene Erfahrung des Wissenschaftlers eine Rolle.

Bildungsforscher & Soziologe Aladin El-Mafaalani (Teil 1) - Jung & Naiv: Folge 535

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