13. HANS-BÖCKLER-FORUM ZUM ARBEITS- UND SOZIALRECHT

Auf dem diesjährigen Hans-Böckler-Forum haben herausragende Fachleute sozialpolitische Themen diskutiert. Es ging um Arbeitnehmerrechte in Zeiten von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz, aber auch um Chancen der Digitalisierung insbesondere in so schwierigen Zeiten, wie es die Zeit der Pandemie war.

Prominente Wissenschaftler und Politiker*Innnen und Menschen, die in Gesellschaft Verantwortung tragen, sprachen sowohl im Plenum als auch in Foren darüber, wie sich die Arbeitswelt der Zukunft darstellt und gestalten kann, welche Gefahren auf uns zukommen und welchen Herausforderungen sich die Arbeitnehmer und deren Vertreter stellen müssen.

Aber auch die Herausforderungen des Sozialstaates, der Rechtsprechung und der sozialen Sicherheit in besonderen Lebenslagen wie einer Erwerbsminderung und Alter waren Gegenstand der Diskussion. Die Zukunft ist ungewiss, jedoch gibt es Hoffnung, dass die geballten Kompetenzen, die sich bei diesem Forum austauschten, eine Zukunft gestalten, die ein menschliches und soziales Angesicht hat.


Frau Dr. Johanna Wenckebach begrüßte die Teilnehmer und sprach über die Spaltung der Gesellschaft, die durch die Pandemie noch größer wurde. Durch Corona wurde die Arbeitswelt in verschiedenen Bereichen entscheidend verändert.
Ein Grußwort kam vom Präsidenten des Bundessozialgerichts, Prof. Dr. Rainer Schlegel. Er sprach an, dass das Krankenhauspersonal nicht sofort die Coronaprämie bekam und dass die Kassierer, die täglich einem Ansteckungsrisiko ausgesetzt waren, oft keine Prämie erhielten. Außerdem sind die Sozialabgaben der Beschäftigten kein Topf, aus dem sich die Leistungserbringer beliebig bedienen dürfen. Seiner Auffassung nach sei das Sozialrecht nicht dazu da, Unterschiede einzuebnen, das sei Aufgabe des Steuerrechts, sondern das Sozialrecht diene dazu, Schwächere zu stützen und zu tragen. Außerdem ging er auf die Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz ein. Das Urteil habe zwar auf das Sozialrecht keinen unmittelbaren Einfluss, sei aber zu berücksichtigen. Seiner Meinung nach habe das Urteil mit Generationengerechtigkeit zu tun. Beispielsweise seien Kreditaufnahmen dann gerechtfertigt, wenn sie eine Wirkung für die Zukunft haben.

Der Vortrag von Professor Dr. Bernd Waas von der Goethe-Universität Frankfurt ging auf das spannende Thema der künstlichen Intelligenz ein, die schon heute auch in der Personalwirtschaft eingesetzt wird. Häufig erfolgt eine Auswahl aus Bewerbungen unter Einsatz entsprechender Programme. Als künstliche Intelligenz wird jedoch oft auch das bezeichnet, was keine künstliche Intelligenz ist. Künstliche Intelligenz ist ein selbstlernendes System und geht über eine bloße Analyse hinaus. Allerdings kann es beim Einsatz künstlicher Intelligenz zu unerwarteten und erschreckenden Ergebnissen kommen. Er warnte jedoch davor, wenn Mitarbeiter durch technische Möglichkeiten überwacht werden und die Maschine eine Leistungsbeurteilung vornimmt. Mitbestimmungsrechte sind in Gefahr, aber auch die Gedanken und Gefühlswelt Betroffener. Künstliche Intelligenz kann zu einer Bedrohung werden und die aktuelle Rechtslage ist dieser Bedrohung nicht gewachsen. Die Europäische Union erarbeitet deshalb eine Verordnung, um die künstliche Intelligenz zu regulieren.

Isabelle Schönmann vom europäischen Gewerkschaftsbund sprach von Plattformarbeit und über die Abgrenzung von selbstständiger Tätigkeit und abhängiger Beschäftigung. Viele Plattformmitarbeiter sein, so ihre Meinung, lediglich scheinselbstständig und dagegen müsse man angehen. Auch die Mitbestimmung sei für Sie auf der europäischen Agenda und nannte dabei den europäischen Betriebsrat.

In einem der vielen Foren sprach Dr. Reinhold Thiede von der Deutschen Rentenversicherung Bund von den Schwierigkeiten einer Erwerbsminderungsrente. Er wies eindrucksvoll darauf hin, dass die Erwerbsminderungsrente häufiger als die reguläre gesetzliche Rente ein Armutsrisiko bedeutet. Zu viele Erwerbsminderungsrentner*Innen müssen eine Grundsicherung beziehen, um ihren Lebensunterhalt bestreiten zu können. Viele Erwerbsminderungsrentner wollen wieder zurück in den regulären Arbeitsmarkt, jedoch nur wenige finden den Weg dorthin zurück. Es ist eine niedrige einstellige Prozentzahl, die genannt wurde. Die Erwerbsminderungsrente ist eine Armutsfalle. In diesem Zusammenhang führt die Verschlossenheit des Arbeitsmarktes bei einer teilweisen Erwerbsminderung dazu, dass eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezogen werden muss. In sehr vielen Fällen führen psychische Erkrankungen zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit. Es ist deshalb umso wichtiger, rechtzeitig noch bevor der Betroffene eine volle Erwerbsminderungsrente beantragen muss, durch Behandlung und Reha-Maßnahmen einer Erwerbsminderung vorgebeugt wird.

Dr. Tobias Mushoff, Richter beim Landessozialgericht in Essen, sprach über Urteile, die im Zusammenhang mit der Erwerbsminderungsrente gesprochen wurden, und über die juristische Praxis. Er hob eine Entscheidung des bayerischen Landessozialgerichtes hervor, die jedoch durch eine Entscheidung des Bundessozialgerichtes revidiert wurde. Dabei entschied das bayerische Landessozialgericht, das eine psychische Erkrankung erst dann zur einer Sozialleistung berechtige, wenn alle therapeutischen Maßnahmen ausgeschöpft sei und berief sich dabei auf das Bundessozialgericht. Dieses hatte eine solche Aussage jedoch in einem anderen Zusammenhang getroffen und stellte klar, dass auch dann ein Leistungsanspruch gegeben sei, wenn zwar eine Krankheit vorliegt, jedoch noch nicht alle therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden.

Dr. Roman Jaich von ver.di und Dr. Stefanie Janczyk von der IG Metall referierten über die Möglichkeiten der Förderung betrieblicher Weiterbildung und den Schwierigkeiten dabei, insbesondere in Verbindung mit dem Kurzarbeitergeld.

Prof. Dr. Armin Höland Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg hatte eine interessante Studie im Gepäck, in der erforscht wurde, wie die Arbeitsrichter und Sozialrichter mit den digitalen Möglichkeiten in der Pandemie umgegangen sind. Die Ergebnisse waren in beiden Gerichtszweigen ähnlich und kamen zu dem Schluss, dass es zwar möglich und auch rechtlich gesichert ist, eine Gerichtsverhandlung digital abzuhalten, es jedoch an Optionen fehlt, die in einer mündlichen Verhandlung, bei der die Parteien anwesend sind, gegeben sind. Beispielsweise kann der hauptamtliche Richter in einer mündlichen Präsenzverhandlung eher feststellen, ob der Wille zu einer Einigung und zu einem Vergleich gegeben ist. Auch sind Absprachen zwischen Richter und den Parteien in einer Präsenzverhandlung besser möglich. Für eine der Hauptverhandlung vorgeschalteten Güteverhandlung sind die digitalen Möglichkeiten jedoch gut einsetzbar. Die Richter äußerten Verunsicherung bei der Anwendung der Technik und wünschen sich einen Support, der bei Problemen sofort eingreifen kann. Die Befragung der Richter, sowohl Ehrenamtliche als auch Hauptamtliche wurde gut angenommen und ist repräsentativ.

In dem Grußwort der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichtes, Inken Gallner beschrieb sie das Spannungsverhältnis des Bundesverfassungsgerichtes zum EuGH im PSPP Urteil. (Zitat des Bundesverfassungsgerichts aus dem Internet: "Das PSPP ist Teil des Expanded Asset Purchase Programme (EAPP), eines Rahmenprogramms des Eurosystems zum Ankauf von Vermögenswerten. Ausweislich seiner Begründung zielt das EAPP auf eine Ausweitung der Geldmenge;… "). Es sei grundsätzlich problematisch, wenn nationale Gericht die Entscheidungsbefugnis des EuGH nicht vollumfänglich anerkennt. Dies wird für sie durch das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts deutlich, dass polnisches Recht über die Entscheidungen des EuGH stellt. Die polnischen Verfassungsrichter hätten das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes für ihre eigene Entscheidung benutzt. Sie hält die beiden Urteile nicht für vergleichbar, aber betont jedoch, dass der EuGH abschließend entscheidet.

Frau Prof. Dr. Britta Rehder von der Ruhr-Uni-Bochum erläutert die Herausforderung von Legal Tech. Legal Tech stellt eine Rechtsdienstleistung durch den Einsatz Daten verarbeitenden Systemen zur Verfügung. Sie unterscheidet drei Verarbeitungsformen. Die erste Stufe ist lediglich darstellend, in der zweiten Stufe werden Texte anhand von Texterkennungsprogrammen auf Fehler untersucht und die dritte Stufe nimmt eine Automatisierung vor.

Frau Prof Birgit Apitzsch von der Universität Duisburg-Essen erforschte, dass es sowohl im Sozialrecht als auch im Arbeitsrecht Legal Tech-Anbieter gibt, wobei die Anzahl der Anbieter im Bereich des Arbeitsrechtes höher ist. Legal Tech ist auf Fehler der Gegenpartei angewiesen, die standardisiert und somit programmiert werden können. Das ist beispielsweise bei der Überprüfung der Abfindungen der Fall. Aber auch im Mietrecht und beim Dieselskandal ist Legal Tech einsetzbar.

Prof. Dr. Martin Henssler von der Universität Köln sprach über die Veränderung in der Rechtsberatung. Legal Tech hat den Vorteil, dass es unkompliziert und ohne Aufwand Antworten auf Rechtsfragen gibt. Legal Tech sind Angebote von Nichtanwälten. Gerne nutzen Versicherungsunternehmen Legal Tech um Kosten zu sparen. Legal Tech ersetzt menschliche Rechtsprüfung ganz oder teilweise. Problematisch ist jedoch, dass Rechtsberatung von Nichtanwälten in Deutschland verboten ist, es sei denn, es liegt eine Ausnahme vor. Ausnahmen können neben Gewerkschaften auch Inkassounternehmen sein. Der Bundesgerichtshof legt den Begriff Inkassounternehmen sehr großzügig aus.

In seiner Rede sprach der Bundesarbeitsminister Hubertus Heil davon, dass der Begriff Kurzarbeitergeld inzwischen international verwendet wird und dass das Kurzarbeitergeld während der Pandemie dafür sorgte, dass Fachkräfte in den Unternehmen verblieben sind und somit ein Wissensbruch in den Unternehmen und Massenarbeitslosigkeit vermieden wurde. Sein Wunsch ist es, dass Haushaltshilfen nicht allein für reiche Haushalte möglich sein sollen, sondern auch für den "Normalhaushalt" erschwinglich ist. Haushaltshilfen sind notwendig, um Haushalte zu entlasten. Er sprach auch davon, dass es eine Ausbildungsgarantie geben muss und versprach einen neuen Rahmen für das mobile Arbeiten. Er wies jedoch darauf hin, dass mobiles Arbeiten nicht für alle möglich sein wird und nannte die Kassiererin im Supermarkt oder den Stahlkocher. Hubertus Heil sprach das Bürgergeld an und mahnte, dass Deutschland eine Bildungsrepublik werden soll. Dabei sei Bildung so zu gestalten, dass sie nicht als lästig empfunden wird, sondern als Chance. Seine Erfahren aus den Reisen nach Michigan und Detroit habe gezeigt, wie notwendig der Strukturwandel sei und wie wichtig es ist, Betriebsräte daran zu beteiligen. Arbeitgeber, die Betriebsräte verhindern wollen, begehen eine Straftat. Die soll von einem Anzeigedelikt zu einem Offizialdelikt werden, denn oft haben die betroffenen Arbeitnehmer Angst, den Arbeitgeber anzuzeigen. Damit die Gesetzesänderung Wirkung entfaltet, sind Schwerpunktstaatsanwaltschaften notwendig.

Reiner Hoffmann, der DGB Vorsitzende, bedauert, dass viele Arbeitnehmer nicht mehr vom Tarifvertrag erfasst werden. Er fordert, dass Arbeitgeber, die keinen Tarifvertrag anwenden, auch nicht Mitglied in ihrem Arbeitgeberverband werden können. Der Mindestlohn sei lediglich die zweitbeste Möglichkeit, um vor zu geringen Einkommen zu schützen. Besser sind seiner Auffassung nach Tarifverträge. Die tarifliche Bindung muss gestärkt werden. Deshalb ist eine Tariftreuegesetz, in dem geregelt ist, dass nur die Arbeitgeber öffentliche Aufträge bekommen, die nach Tarif zahlen, unbedingt notwendig. Ebenso sieht er in der zunehmenden Digitalisierung eine Gefahr für die Arbeitnehmerrechte.

An er abschließenden Diskussion nahmen Dr. Martin Rosemann (SPD), Marc Biadacz (CDU) und Susanne Ferschl (DIE LINKE) sowie Reiner Hoffmann (DGB) teil.
Der CDU-Mann Biadacz wünschte der Koalition viel Glück und Dr. Martin Rosemann (SPD) sieht in der Koalition Chancen, neue Wege zu gehen. Susanne Ferschel wünscht sich einen Arbeitsmarkt, der gute Renten sicherstellt. Für Reiner Hoffmann muss die Rente ausreichen, um ein Leben in Würde führen zu können. Reiner Hoffmann versprach, dass weder das Renteneintrittsalter erhöht wird, noch es eine Absenkung der Rente unter 48 % geben wird.

Es gab zwar von der CDU die durch Marc Biadacz vertreten wurde in Detailfragen Widerspruch und Susanne Ferschl die Vertreterin der LINKEN sollte bei der Frage der Minijobs lieber Statistiken lesen als Flugblätter (Zitat aus der Versammlung) jedoch gab es in den Äußerungen der Podiumsteilnehmer keine grundlegenden Widersprüche. Es ist wünschenswert, dass es beim Thema Sicherung und Ausbau des Sozialstaates auch im Bundestag eine so breite Übereinstimmung gibt.

Durch die Versammlung führte mit professioneller Sicherheit und in einer persönlich ansprechenden Art der Journalist  und Moderator Tom Hegermann.

Quelle (Teilnehmer an der Veranstaltung) und Ifo siehe:

Diese Schilderung ist ein Eindruck, der aus einem persönlichen Verständnis und bestem Wissen heraus wiedergegeben wurde. Sollte eine der genannten Personen meinen, dass die Darstellung falsch oder verzerrt wiedergegeben wurde, bitte ich um Mitteilung und um einen Korrekturvorschlag.

Beliebte Posts aus diesem Blog

Ein Blick von oben in die Stadt… Feinde, Gegner oder Hemmnis einer freien und offenen Gesellschaft

Energiearmut und Stromsperren

Was kann aus dem Soli werden?

Stärkung der Sozialversicherung was geht (ist sinnvoll) und was nicht (ist nicht sinnvoll)

Zufall ist vielleicht das Pseudonym Gottes ...

Against All Gods

Religionsfreiheit - Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

Gesetzliche Rentenversicherung stärken - die Umlagefinanzierung ist eine Stärke

Politologe Andreas Püttmann über Konservative, Rechte, CDU & AfD